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Der Europäische übeauftragte

Der Europäische übeauftragte führt Untersuchungen zu Missständen in der Verwaltungstätigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union durch. Er wird entweder von sich aus oder aufgrund von Beschwerden tätig, die ihm von EU-ün oder von natürlichen oder juristischen Personen mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat zugehen. Der Europäische übeauftragte wird vom Europäischen Parlament für die Dauer der Wahlperiode gewählt.

Rechtsgrundlage

Artikel20, 24 und 228 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie Artikel43 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Der Status und die Aufgaben des Europäischen übeauftragten wurden nach Stellungnahme der Europäischen Kommission und Billigung durch den Rat der Europäischen Union in einem Beschluss des Europäischen Parlaments vom 9.März 1994[1] festgelegt. Auf der Grundlage dieses Beschlusses nahm der Europäische übeauftragte die Durchführungsbestimmungen zu diesem Beschluss an. Im Wege des gleichen Verfahrens wurde der Beschluss aufgehoben und durch eine Verordnung[2] des Europäischen Parlaments vom 24.Juni 2021 ersetzt. Die Verfahren für die Wahl und die Amtsenthebung des Europäischen übeauftragten sind in den Artikeln231 bis 233 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments festgelegt.

Ziele

Das Amt des Europäischen übeauftragten wurde durch den Vertrag von Maastricht (1992) geschaffen. Es wird damit beabsichtigt,

  • den Schutz von üinnen und ün oder natürlichen oder juristischen Personen mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit Missständen in der Verwaltungstätigkeit der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union zu verbessern und
  • damit die Transparenz und die demokratische Kontrolle im Beschlussfassungsprozess und in der Verwaltungstätigkeit der Unionsorgane zu stärken.

A. Rechtsstellung

1. Wahl

a. Anforderungen

Zum Europäischen übeauftragten können Personen gewählt werden, die

  • EU-ü sind,
  • die bürgerlichen Ehrenrechte besitzen,
  • jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten,
  • die Voraussetzungen erfüllen, die in ihrem Staat für die Ausübung des Richteramts erforderlich sind, oder die anerkanntermaßen über die Befähigung und Erfahrung zur Wahrnehmung der Aufgaben des Europäischen übeauftragten verfügen,
  • innerhalb der zwei Jahre vor der Veröffentlichung des Aufrufs zur Einreichung von Kandidaturen weder Mitglied einer nationalen Regierung noch Mitglied des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates oder der Europäischen Kommission waren.

b. Verfahren

Der Präsident des Europäischen Parlaments ruft zu Beginn jeder Wahlperiode oder im Fall des Todes, des Rücktritts oder der Amtsenthebung des Europäischen übeauftragten zur Einreichung von Kandidaturen für das Amt des Europäischen übeauftragten auf und legt die Frist für die Einreichung der Kandidaturen fest. Die Kandidaturen müssen von mindestens 40Mitgliedern des Europäischen Parlaments aus mindestens zwei Mitgliedstaaten unterstützt werden. Sie werden dem Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments zur Prüfung ihrer Zulässigkeit unterbreitet. Der Ausschuss kann darum ersuchen, die Kandidaten anzuhören. Anschließend wird dem Parlament eine Liste der zulässigen Kandidaten zur Abstimmung vorgelegt. Der Europäische übeauftragte wird mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt.

2. Mandat

a. Dauer

Der Europäische übeauftragte wird nach jeder Wahl des Europäischen Parlaments für die Dauer der Wahlperiode gewählt. Die Wiederwahl ist zulässig.

b. Pflichten

Der Europäische übeauftragte

  • übt seine äپ𾱳ٱ gänzlich unabhängig und unparteiisch aus,
  • darf von keiner Regierung, keinem Organ, keiner Einrichtung und keiner sonstigen Stelle Weisungen einholen oder annehmen,
  • enthält sich jeder Handlung, die mit seinen äپ𾱳ٱ unvereinbar ist,
  • darf keine anderen politischen oder administrativen äپ𾱳ٱ bzw. entgeltliche oder unentgeltliche Berufstätigkeiten ausüben.

3. Amtsenthebung

Auf Antrag des Europäischen Parlaments kann der Europäische übeauftragte vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seines Amtes enthoben werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

B. Funktion

1. Geltungsbereich

Der Europäische übeauftragte befasst sich mit Missständen in der Tätigkeit der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.

a. Der Europäische übeauftragte kann es als einen Missstand betrachten, wenn ein Organ Folgendes missachtet:

  • Grundrechte,
  • Rechtsvorschriften oder Grundsätze sowie
  • die Grundsätze der guten Verwaltungspraxis.

Die Untersuchungen des Europäischen übeauftragten betreffen vor allem:

  • Transparenz der Entscheidungsverfahren und Lobbying/Rechenschaftspflicht,
  • Zugang zu Dokumenten,
  • پԲٱ𾱲ٳܲԲԳٲä,
  • Einhaltung der Verfahrensrechte,
  • angemessene Nutzung von Ermessensspielräumen,
  • Achtung der Grundrechte,
  • Auswahlverfahren,
  • gute Verwaltung in Bezug auf Personalangelegenheiten und Ernennungen innerhalb der EU,
  • Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung,
  • Ethik,
  • Einbeziehung der Öffentlichkeit in Entscheidungsverfahren der EU.

Etwa ein Drittel der jedes Jahr vom Europäischen übeauftragten durchgeführten Untersuchungen betreffen einen Mangel an oder eine Verweigerung von Informationen.

b. Ausnahmen

Folgende Angelegenheiten kann der Europäische übeauftragte nicht untersuchen:

  • äپ𾱳ٱ des EuGH in Ausübung seiner Rechtsprechungsbefugnisse. Die den EuGH betreffenden Untersuchungen des Europäischen übeauftragten beziehen sich nur auf dessen außergerichtliche äپ𾱳ٱ wie Ausschreibungen, Verträge und Klagen von Beamten,
  • Beschwerden über lokale, regionale oder nationale Stellen, auch wenn diese Beschwerden im Zusammenhang mit Angelegenheiten stehen, die die Europäische Union betreffen,
  • äپ𾱳ٱ von Gerichten oder nationalen übeauftragten. Der Europäische übeauftragte ist keine Berufungsinstanz gegen Entscheidungen dieser Einrichtungen,
  • Sachverhalte, die vorher nicht Gegenstand der angemessenen administrativen Schritte bei den betroffenen Organen oder Einrichtungen waren,
  • Beschwerden über das Verhalten einzelner Beamter der EU.

2. Befassungen

Der Europäische übeauftragte führt im Rahmen seines Auftrags von sich aus oder aufgrund von Beschwerden, die ihm von einer Unionsbürgerin bzw. einem Unionsbürger oder einer sonstigen natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat unmittelbar oder über ein Mitglied des Europäischen Parlaments zugehen, die Untersuchungen durch, die er für gerechtfertigt hält. Dies gilt nicht, wenn die behaupteten Sachverhalte Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sind oder waren.

3. Untersuchungsbefugnisse

Der Europäische übeauftragte kann

  • die Organe und Einrichtungen ersuchen, ihm die geforderten Auskünfte zu erteilen und ihm Zugang zu den einschlägigen Unterlagen zu gewähren; diese müssen dem Ersuchen entsprechen, außer wenn berechtigte Gründe der Geheimhaltung bestehen,
  • die Beamten und Bediensteten der Organe und Einrichtungen ersuchen, auf seinen Antrag hin als Zeugen auszusagen; sie bleiben dabei an die für sie geltenden Vorschriften gebunden,
  • die Behörden der Mitgliedstaaten ersuchen, alle notwendigen Informationen zu liefern; diese müssen dem Ersuchen entsprechen, außer wenn die Weitergabe der Informationen durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften untersagt ist, in welchem Falle der Europäische übeauftragte diese Informationen zur Kenntnis nehmen kann, sich aber verpflichtet, sie nicht preiszugeben.

Erhält der Europäische übeauftragte nicht die gewünschte Unterstützung, so unterrichtet er das Europäische Parlament, das die geeigneten Schritte unternimmt. Der Europäische übeauftragte kann unter Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften auch mit seinen Kollegen in den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Handelt es sich um Sachverhalte, die der Europäische übeauftragte für strafrechtlich relevant hält, setzt er die zuständigen nationalen Behörden sowie das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) unverzüglich davon in Kenntnis. Gegebenenfalls unterrichtet er auch das Unionsorgan, dem der betreffende Beamte oder Bedienstete untersteht.

4. Ergebnis der Untersuchung

Im Rahmen des Möglichen geht der Europäische übeauftragte gemeinsam mit dem betroffenen Organ oder der betroffenen Einrichtung vor, um eine für den Beschwerdeführer zufriedenstellende Lösung zu finden. Falls er Missstände in der Verwaltungstätigkeit feststellt, befasst er das betreffende Organ oder die betreffende Einrichtung, das bzw. die ihm innerhalb einer Frist von drei Monaten eine begründete Stellungnahme übermitteln muss. Nimmt das Organ die vorgeschlagenen Empfehlungen nicht an, kann der Europäische übeauftragte einen Sonderbericht erstellen, der dem Europäischen Parlament vorgelegt wird. Das Europäische Parlament wiederum kann einen Bericht über den vom Europäischen übeauftragten vorgelegten Sonderbericht erstellen. Schließlich unterrichtet der Europäische übeauftragte den Beschwerdeführer über das Ergebnis seiner Untersuchung, über die Stellungnahme des betreffenden Organs oder der betreffenden Einrichtung und über seine Empfehlungen.

C. Verwaltung

Der Europäische übeauftragte wird von einem Sekretariat unterstützt, dessen Mitarbeiter den geltenden Regelungen für den europäischen öffentlichen Dienst unterliegen. Er ernennt den Leiter dieses Sekretariats.

D. äپ𾱳ٱ

Der erste Europäische übeauftragte, Jacob Söderman, war über zwei Amtszeiten von Juli 1995 bis zum 31.März 2003 tätig. Während seiner Amtszeit, nämlich im Jahr 2001, wurde vom Europäischen Parlament der Kodex für gute Verwaltungspraxis gebilligt. Mit diesem Verfahrenskodex, der an den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgerichtet ist, wird den in der Rechtsprechung des EuGH enthaltenen Grundsätzen des EU-Verwaltungsrechts Rechnung getragen. Der Europäische übeauftragte verwendet den Kodex, wenn er untersucht, ob ein Missstand in der Verwaltungspraxis vorliegt. Bei der Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion stützt er sich auf die Vorschriften des Kodex. Der Kodex dient ferner als Leitfaden und als Referenz für Mitarbeiter des europäischen öffentlichen Dienstes, indem er zu höchsten Verwaltungsstandards anspornt.

Im April 2003 wurde Nikiforos Diamandouros Europäischer übeauftragter, bis er am 14.März 2013 mit Wirkung zum 1.Oktober 2013 zurücktrat. Am 11.Juli 2006 unterbreitete der Europäische übeauftragte einen Vorschlag zur Anpassung seines Statuts, der vom Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments, vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union unterstützt wurde. Die Änderung des Statuts erfolgte zum Zweck der Stärkung und Präzisierung der Rolle des Europäischen übeauftragten, beispielsweise im Hinblick auf den Zugang zu Dokumenten und die Übermittlung von Informationen an das OLAF, wenn eine Angelegenheit in dessen Zuständigkeitsbereich fallen könnte.

In seiner Plenartagung vom Juli 2013 wählte das Europäische Parlament die ehemalige irische übeauftragte Emily O’Reilly zur Europäischen übeauftragten. Am 1.Oktober 2013 trat sie ihr Amt an und wurde nach den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 und 2019 zweimal im Amt bestätigt. Sie hat die Rolle des Europäischen übeauftragten stärker ins Blickfeld gerückt, indem sie sich auf die für die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besonders wichtigen Themen konzentriert und sich dafür einsetzt, dass die EU die höchsten Standards in Bezug auf Verwaltung, Transparenz und Ethik einhält. Was den Beschlussfassungsprozess der EU betrifft, so hat sie insbesondere im Rahmen von Trilogen und im Rat der Europäischen Union sowie im Hinblick auf Lobbying, Sachverständigengruppen, Interessenkonflikte, EU-Agenturen (z.B. die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Frontex) und internationale Verhandlungen (etwa im Zusammenhang mit der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft) die Transparenz gefördert. Außerdem bemüht sie sich um eine Verbesserung der Vorschriften über die Meldung von Missständen, über die Europäische üinitiative und über Behinderungen. Ferner hat sie im Zusammenhang mit der Ernennung eines ehemaligen Generalsekretärs der Kommission Fälle von Missständen in der Verwaltungstätigkeit untersucht.

Der Europäische übeauftragte koordiniert zudem das Europäische Verbindungsnetz der übeauftragten und vergibt seit 2017 alle zwei Jahr eine Auszeichnung für gute Verwaltungspraxis.

Rolle des Europäischen Parlaments

Obwohl der Europäische übeauftragte in der Erfüllung seiner Amtspflichten völlig unabhängig ist, hat sein Amt den Charakter eines parlamentarischen übeauftragten. Der Europäische übeauftragte steht in enger Verbindung mit dem Europäischen Parlament, das allein für seine Wahl und für die Beantragung seiner Amtsenthebung durch den Gerichtshof zuständig ist, das Statut des übeauftragten festlegt, ihn bei seinen Untersuchungen unterstützt und seine Berichte entgegennimmt. Auf der Grundlage von Artikel220 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments erstellt der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments jährlich einen Bericht über die Tätigkeit des Europäischen übeauftragten. In diesen Berichten wurde wiederholt die volle Unterstützung für die Arbeit des Europäischen übeauftragten zum Ausdruck gebracht und betont, dass die Unionsorgane umfassend mit ihm zusammenarbeiten sollten, um– insbesondere durch die Umsetzung seiner Empfehlungen– die Transparenz und Rechenschaftspflicht der EU zu erhöhen. Das Europäische Parlament nahm am 12.Februar 2019 den Entwurf einer Verordnung an, in dem ein aktualisiertes Statut des Europäischen übeauftragten mit dem Ziel vorgeschlagen wird, seine Unabhängigkeit und Befugnisse zu stärken. Am 24.Juni 2021 nahm das Europäische Parlament die an, in der zahlreiche Verfahrensweisen für die Ausübung des Amtes festgeschrieben sind, etwa im Hinblick auf die Befugnis zur Einleitung von Initiativuntersuchungen.

[1]ABl. L113 vom 4.5.1994, S.15– abgeändert durch die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom 14.März 2002 (ABl. L92 vom 9.4.2002, S.13) und vom 18.Juni 2008 (ABl. L189 vom 17.7.2008, S.25).
[2] des Europäischen Parlaments vom 24.Juni 2021 zur Festlegung der Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des übeauftragten (Statut des Europäischen übeauftragten) und zur Aufhebung des Beschlusses 94/262/EGKS, EG, Euratom (ABl. L253 vom 16.7.2021, S. 1).

Pablo Abril Marti / Georgiana Sandu