BERICHTüber den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Petras Gražulis
25.4.2025-()
Rechtsausschuss
Berichterstatterin: Pascale Piera
VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Petras Gražulis
()
Das Europäische Parlament,
–unter Hinweis auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Litauen vom 16.September 2024 auf Aufhebung der Immunität von Petras Gražulis im Zusammenhang mit einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren, der am 24.Oktober 2024 im Plenum bekannt gegeben wurde,
–nach Anhörung von Petras Gražulis am 18.März 2025 gemäß Artikel9 Absatz6 seiner Geschäftsordnung,
–gestützt auf die Artikel8 und 9 des Protokolls Nr.7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel6 Absatz2 des Aktes vom 20.September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,
–unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21.Oktober 2008, 19.März 2010, 6.September 2011, 17.Januar 2013, 19.Dezember2019 und 5.Juli 2023[1],
–unter Hinweis auf Artikel62 der Verfassung der Republik Litauen,
–gestützt auf Artikel5 Absatz2, Artikel6 Absatz1 und Artikel9 seiner Geschäftsordnung,
–unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A10-0078/2025),
A.in der Erwägung, dass die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Litauen mit Schreiben vom 16.September 2024 einen Antrag auf Aufhebung der Immunität von Petras Gražulis übermittelt hat, und zwar im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Straftat nach Artikel170 Absatz2 des Strafgesetzbuchs der Republik Litauen, da er eine Gruppe von Personen öffentlich verspottet und ihnen gegenüber seine Geringschätzung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zum Ausdruck gebracht habe;
B.in der Erwägung, dass im Antrag angegeben wird, dass Petras Gražulis beschuldigt wird, in den Gängen des Seimas der Republik Litauen (im Folgenden „Seimas“) am 26.Mai 2022 nach einer Sitzung des Seimas zur Eintragung von Lebenspartnerschaften während einer Diskussion mit einem Kameramann, die von Medien gefilmt und ausgestrahlt wurde, eine Gruppe von Personen öffentlich verspottet, herabgewürdigt und erniedrigt und ihnen gegenüber seine Geringschätzung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zum Ausdruck gebracht zu haben; in der Erwägung, dass die Straftat, die Petras Gražulis zur Last gelegt wird, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Seimas war, im Jahr 2022 begangen wurde, dass die vorgerichtlichen Ermittlungen in den Jahren 2022 und 2023 erfolgten und dass der Fall im Januar 2024 an das Regionalgericht Vilnius verwiesen wurde; in der Erwägung, dass Petras Gražulis zu diesem Zeitpunkt als Abgeordneter des Seimas Immunität besaß, der Seimas am 16.November 2023 aber zugestimmt hatte, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet werden dürfen;
C.in der Erwägung, dass Petras Gražulis bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2024 in das Europäische Parlament gewählt wurde und zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Straftat kein Mitglied des Europäischen Parlaments war;
D.in der Erwägung, dass die mutmaßliche Straftat und der folgende Antrag auf Aufhebung seiner Immunität nicht im Zusammenhang mit einer in Ausübung des Amtes als Mitglied des Europäischen Parlaments erfolgten Äußerung oder Abstimmung von Petras Gražulis im Sinne von Artikel8 des Protokolls Nr.7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union stehen;
E.in der Erwägung, dass den Mitgliedern des Europäischen Parlaments gemäß Artikel9 Absatz1 Buchstabea des Protokolls Nr.7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht;
F.in der Erwägung, dass es in Artikel62 der Verfassung der Republik Litauen wie folgt heißt: „Die Person eines Mitglieds des Seimas ist unantastbar. Ein Mitglied des Seimas kann ohne Zustimmung des Seimas keiner strafrechtlichen Verantwortung unterzogen und weder verhaftet noch auf andere Weise in seiner Freiheit eingeschränkt werden. Ein Mitglied des Seimas darf wegen seines Abstimmungsverhaltens oder seiner Äußerungen im Seimas nicht verfolgt werden. Es kann jedoch wegen Beleidigung oder Verleumdung nach dem allgemeinen Verfahren zur Verantwortung gezogen werden“;
G.in der Erwägung, dass der Zweck der parlamentarischen Immunität darin besteht, das Parlament und seine Mitglieder vor Gerichtsverfahren zu schützen, die sich auf Tätigkeiten beziehen, die sie in Ausübung ihrer parlamentarischen Funktionen durchführen und die untrennbar mit diesen Funktionen verbunden sind;
H.in der Erwägung, dass gemäß Artikel5 Absatz2 der Geschäftsordnung die parlamentarische Immunität kein persönliches Vorrecht eines Mitglieds, sondern eine Garantie der Unabhängigkeit des Parlaments als Ganzes und seiner Mitglieder ist;
I.in der Erwägung, dass das Europäische Parlament in dem vorliegenden Fall keine Anzeichen von fumus persecutionis gefunden hat, d.h. Tatsachen, die darauf hindeuten, dass das zugrunde liegende Verfahren von der Absicht getragen ist, der politischen Tätigkeit des Mitglieds in seiner Eigenschaft als Mitglied des Europäischen Parlaments zu schaden;
J.in der Erwägung, dass einerseits das Parlament nicht einem Gericht gleichgesetzt werden kann und dass andererseits das Mitglied des Parlaments im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Aufhebung der Immunität nicht als „Angeklagter“ gelten darf[2];
1.beschließt, die Immunität von Petras Gražulis aufzuheben;
2.beauftragt seine Präsidentin, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich den zuständigen Organen der Republik Litauen und Petras Gražulis zu übermitteln.
ANLAGE: EINRICHTUNGEN ODER PERSONEN,VON DENEN DIE BERICHTERSTATTERIN BEITRÄGE ERHALTEN HAT
Die Berichterstatterin erklärt unter ihrer ausschließlichen Verantwortung, dass sie keine Beiträge von Einrichtungen oder Personen erhalten hat, die gemäß AnlageI Artikel8 der Geschäftsordnung in dieser Anlage aufgeführt werden müssen.
ANGABEN ZUR ANNAHME IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS
Datum der Annahme |
23.4.2025 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
23 0 1 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Tobiasz Bocheński, José Cepeda, Ton Diepeveen, Mary Khan, Ilhan Kyuchyuk, Lukas Mandl, Mario Mantovani, Pascale Piera, René Repasi, Krzysztof Śmiszek, Dominik Tarczyński, Adrián Vázquez Lázara, Axel Voss, Marion Walsmann, Dainius Žalimas |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen) |
David Cormand, Angelika Niebler, Arash Saeidi, Jana Toom |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder gemäß Art. 216 Abs. 7 der Geschäftsordnung |
Andi Cristea, Esther Herranz García, Dariusz Joński, Marit Maij, Jorge Martín Frías |
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[1] Urteil des Gerichtshofs vom 21.Oktober 2008, Marra/De Gregorio und Clemente, C-200/07 und C-201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des Gerichts vom 19.März 2010, Gollnisch/Parlament, T-42/06, ECLI:EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom 6.September 2011, Patriciello, C-163/10, ECLI: EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17.Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T-346/11 und T-347/11, ECLI:EU:T:2013:23; Urteil des Gerichtshofs vom 19.Dezember 2019, Junqueras Vies, C-502/19, ECLI:EU:C:2019:1115; Urteil des Gerichts vom 5.Juli 2023, Puigdemont i Casamajó u.a./Parlament, T-272/21, ECLI:EU:T:2023:373.
- [2] Urteil des Gerichts vom 30.April 2019, Briois/Parlament, T-214/18, ECLI:EU:T:2019:266.